Zweitliga-Volleyballerinnen gewinnen ungefährdet beim Aufsteiger SSF Bonn / Piest wird wertvollste Spielerin / halbes Team muss Corona-Test machen

Wie ein längerer Stopp während einer elendig weiten Reise habe sich die Auswärtsfahrt der Stralsunder Wildcats nach Bonn angefühlt, behauptet Madleen Piest.

Die Volleyballerin machte mit ihrem Team im 7. Zweitligaspiel der Saison kurzen Prozess mit Aufsteiger SSF Fortuna Bonn. 3:0 (25:17, 25:16, 25:23) binnen 78 Minuten. Zuvor und danach saßen Piest und Co. jeweils acht Stunden im Kleinbus auf der Autobahn durch die Republik. „Ja, das war eine schnelle Angelegenheit. Wir haben vor Anpfiff gesagt, wir wollen pünktlich wieder zu Hause sein“, lachte Piest. „Pünktlich zu Hause“ hieß Sonntag 5 Uhr früh.

Dabei stand wenige Stunden vor Abfahrt noch gar nicht fest, ob das Team von der Küste überhaupt losfährt. Freitagnachmittag wurde der Landkreis Vorpommern-Rügen zum Corona-Risikogebiet erklärt. Plötzlich stand somit die halbe Mannschaft – sechs Spielerinnen leben in Stralsund, acht in Rostock, Wismar und bei Schwerin – unter Corona-Generalverdacht. Piest und die anderen Mecklenburgerinnen warteten eine halbe Stunde mit gepackten Taschen auf die Abfahrt zum Abschlusstraining nach Stralsund, das schlussendlich abgesagt wurde. Stunden später dann die Info: Es geht nach Bonn – für die Stralsund-Fraktion aber nur mit vorherigem Schnelltest. Die Corona-Aufregung musste verdaut werden. „Ich habe die Mädels kurzerhand zum Absacker-Weinchen zu mir eingeladen“, berichtet Piest und schiebt hinterher: „Es blieb aber bei einem!“

Zum Anpfiff der Partie in Bonn gab es die nächste Überraschung. Da die Videoanalyse des Gegners am Freitagabend ausfiel, „wussten wir nichts über Bonn“ (Piest). Der für Stralsund unbekannte Aufsteiger startete mit einer 5:2-Führung ins Duell. „Da haben wir direkt gemerkt, das wird kein Selbstläufer. Wir mussten im Angriff Lösungen suchen und nicht einfach draufhauen“, sagt die Stralsunderin.

Das klappte im Anschluss hervorragend. Fünf Punkte in Serie drehten die Partie (7:5). Kurz darauf waren die Wildcats enteilt (11:7, 16:9, 20:13). Den ersten von sieben Satzbällen verwandelte der Favorit. Gleiches Bild im zweiten Durchgang: Wieder waren die Gäste frühzeitig auf und davon (13:5, 20:12). Doch diesmal dauerte es mit dem Satzgewinn. Erst der vierte saß. „Wenn wir Druck im Aufschlag gemacht haben, hatten wir sie unter Kontrolle“, analysierte Piest, die zur wertvollsten Spielerin auf Stralsunder Seite gewählt wurde. Es war ihre erste Auszeichnung der Saison. „Ich mag es gegen Gegner zu spielen, die man nicht kennt. Es ist erfrischend.“ Ihr Zusammenspiel mit Zuspielerin Svenja Enning klappte – irgendwie. „Ich habe zu ihr gesagt: Gib mir einfach den Ball, ich mach was draus.“

Im dritten Satz wehrten sich die Rheinländerinnen vehementer und die Ostseestädterinnen machten „doofe Fehler im Angriff, Block und Aufschlag“ (Piest). Entscheidend für den 3:0-Sieg: Die Wildcats ließen ihre alte Nervenstärke in der Crunchtime aufblitzen. 22:23 lagen sie zurück und drehten mit drei Punkte in Serie den Spielstand.

„Die Fahrt hat sich definitiv gelohnt! Wir haben das mitgenommen, was wir wollten“, freut sich Piest über die drei Punkte, die zum Sprung auf Platz drei verhalfen.

Für die Außenangreiferin war es das erste Geisterspiel ihrer Karriere. „Als Sportler merkt man, wenn keine Zuschauer dabei sind. Daher wird uns auch die ,Rote Wand‘ am kommenden Sonnabend fehlen. Die Unterstützung von den Rängen macht den Sport ja aus“, blickt Piest bedrückt auf das anstehende Heimspiel gegen Sorpesee am kommenden Sonnabend voraus.

Nachdenklich wird die 25-Jährige, die für eine Autovermietung arbeitet, auch, wenn es um das Thema coronabedingte Saisonunterbrechung geht. Die Wildcats sind Teil der 2. Volleyball-Bundesliga, die als Profiliga gilt und somit von der Zwangspause ausgenommen ist. Doch die Spielerinnen sind eher Semi-Profis, gehen alle einem Hauptberuf nach oder sind Studentinnen.

„Da bin ich zwiegespalten. Im Nachhinein waren wir froh, dass wir diese Auswärtsreise nun hinter uns haben und es uns allen gut geht. Allerdings hat man Woche für Woche ein schlechtes Gewissen. Ich gehe jeden Tag in ein Großraum-Büro und trage Verantwortung gegenüber meinen Kollegen. Um den Kopf frei von dem ständigen Zwiespalt zu bekommen, wäre eine Spielpause sicherlich gut“, glaubt Piest.

Die ist aber (noch) nicht angeordnet und deshalb müssen sich die Vereinsverantwortlichen nun überlegen, wie sich das Team, das teilweise im Risikogebiet lebt, gemeinsam auf den kommenden Gegner vorbereiten kann.

Von Horst Schreiber (OZ)