Entfallende Meister-Krönung ausschlaggebend für Rücktritt nach 22 Jahren /
Nachfolger soll in kommenden Tagen unterschreiben

Die entfallende Meister-Krönung für die Fabel-Saison 2019/20 stürzte André Thiel in ein emotionales Loch. Die Volleyball-Begeisterung des Trainers der Stralsunder Wildcats kam nicht mehr zurück. Jetzt tritt der Mann ab, der mehr als die Hälfte seines Lebens am Spielfeldrand gebrannt hatte.

Die derzeit vielleicht längste Trainer-Ära im deutschen Profi-Mannschaftssport geht zu Ende: André Thiel tritt als Chefcoach der Stralsunder Wildcats ab. Nach 22 Jahren am Volleyballfeld, davon zwölf in der 2. Bundesliga, ist Schluss. Es ist das Ende einer Epoche, das vor mehr als einem Jahr mit einem Donnergrollen eingeleitet wurde. Damals befand sich Thiel auf seinem Karrierehöhepunkt. Jetzt will der 40-Jährige die Nachwuchsförderung im Verein vorantreiben.

Im März 2020 standen die Wildcats mit Abstand auf Platz eins. Die erste Zweitligameisterschaft der Vereinsgeschichte schien nur noch Formsache zu sein. Doch weil die Volleyball-Saison coronabedingt ohne Wertung abgebrochen wurde, blieb die Krönung kurz vor der Ziellinie aus. „Das, was wir emotional erlebt hätten, was keiner je vergessen hätte, ist uns genommen worden“, sagte Thiel damals. Von diesem Nackenschlag hat sich der ehrgeizige Sportler nicht mehr erholt. „Ich halte viel von Anstand und Moral. Das wurde uns durch die offensichtlich geringe Wertschätzung unserer Leistung nicht entgegengebracht. Der Leitspruch der Volleyballer ,home of respect’ wurde nicht vom Vorstand der Volleyball-Bundesliga gelebt“, sagt Thiel heute.

Das Feuer, das den fordernden wie leidenschaftlichen Trainer antrieb, war erloschen und entzündete sich in der vergangenen Saison nicht mehr. Es war zu spüren, dass ein anderer André Thiel am Spielfeldrand stand. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich meine Motivation durch so eine Aktion verliere“, sagt Thiel und ergänzt: „Ich meine, die Situation hier in Stralsund war so komfortabel – da wäre ich schön blöd gewesen, wenn ich das aufgebe.“ Auch für Klubchef Steffen Täubrich schien eine Trennung vom langjährigen Trainer unvorstellbar: „Noch vor drei Jahren hätte ich gesagt: Wenn André geht, stirbt das Bundesliga-Projekt.“

Thiel ist ein federführender Baumeister dieses Projekts. Ab 1999 führte der damals 18-Jährige die zweite Frauenmannschaft des 1. VC aus der Bezirksklasse vorbei an der „Ersten“ in die 2. Bundesliga. Nach einem Abstieg in der Zweitliga-Premierensaison – dem einzigen in Thiels Trainerlaufbahn – ging es für Stralsund direkt zurück ins Unterhaus. Dort etablierten sich die Wildcats und wollen in den nächsten Jahren höher hinaus. Das Bundesliga-Projekt lebt – auch ohne Thiel als Cheftrainer – weiter.

„Wir sind André unendlich dankbar für die vielen Jahre, in denen er den Volleyball in Stralsund aufgebaut hat“, sagt Täubrich. Das Lob gibt Thiel zurück: „Ich verspüre große Dankbarkeit gegenüber allen, die das mitgemacht haben. Der Klub, die Mannschaft, das Umfeld haben viel erreicht in den letzten Jahren. Ich bin überzeugt, dass sich der Verein mit der Umbesetzung weiter positiv entwickeln wird.“

Thiel befasst sich noch ein paar Wochen mit der Kaderplanung der Bundesliga-Mannschaft. An wen er das Team übergeben wird, gibt der Verein in den kommenden Tagen bekannt. Die Verhandlungen seien fortgeschritten.

Wenn der Künftige in Stralsund gelandet ist, richtet der Noch-Trainer seinen Blick auf die neue Aufgabe im Verein. Er wird die Nachwuchsarbeit führen und ausbauen – ein wichtiger Baustein auf dem Weg Richtung Volleyball-Beletage. „Wir wollen uns in einigen Bereichen schon jetzt am Niveau der 1. Liga orientieren. Daher  freuen wir uns riesig, dass André seine Expertise nun in unseren Nachwuchs steckt. Als er bei uns angefangen hatte, waren wir in der Jugend erfolgreicher. Hoffentlich kommen wir wieder dorthin“, sagt Täubrich. Auch Thiel hofft, dass er in anderer Position wieder Volleyball-Begeisterung entfachen kann. „Werte, die mir wichtig sind, kann ich im Jugendbereich wieder umsetzen. Deshalb verspüre ich totale Lust auf diese Aufgabe.“

von Horst Schreiber